Energiewende von unten: Die Bedeutung der Bürgerbeteiligung

Die Energiewende ist eines der wichtigsten Transformationsprojekte unserer Zeit. Doch während über 80% der Deutschen die Energiewende grundsätzlich befürworten, stoßen konkrete Projekte wie Windparks oder neue Stromtrassen häufig auf Widerstand. Hier setzt die Bürgerbeteiligung an: Wenn Menschen nicht nur von der Energiewende betroffen sind, sondern aktiv daran teilhaben und wirtschaftlich profitieren können, steigt die Akzeptanz erheblich.

Bürgerenergieprojekte ermöglichen es Anwohnern, selbst zu Energieerzeugern zu werden und von der Wertschöpfung zu profitieren. Gleichzeitig tragen sie zur Demokratisierung des Energiesystems bei, indem sie die Macht von großen Energiekonzernen hin zu dezentralen Strukturen verlagern.

Modelle der Bürgerbeteiligung im Energiesektor

Es gibt verschiedene Ansätze, wie Bürgerinnen und Bürger an Energieprojekten beteiligt werden können:

Bürgerenergiegenossenschaften

Energiegenossenschaften sind die häufigste Form der Bürgerbeteiligung in Deutschland. Sie ermöglichen es auch Menschen mit geringerem Kapital, sich an erneuerbaren Energieprojekten zu beteiligen. Das Prinzip "ein Mitglied, eine Stimme" sorgt für demokratische Entscheidungsstrukturen unabhängig von der Höhe der Einlage.

In Deutschland gibt es über 900 Energiegenossenschaften mit mehr als 200.000 Mitgliedern, die Projekte mit einer Gesamtleistung von rund 3 GW betreiben. Die Mindestbeteiligung liegt typischerweise zwischen 100 und 1.000 Euro.

Bürgerenergiefonds

Bürgerenergiefonds sammeln Kapital von vielen Bürgern, um es in verschiedene Erneuerbare-Energien-Projekte zu investieren. Sie bieten den Vorteil der Risikostreuung und ermöglichen oft niedrigere Mindestbeteiligungen als einzelne Projektbeteiligungen.

Darlehensmodelle

Bei Darlehensmodellen können Bürger einem Projektentwickler Geld leihen und erhalten dafür Zinsen. Dieses Modell ist relativ einfach umzusetzen und bietet Bürgern eine feste Verzinsung ihres Kapitals.

Bürgerwindparks

Bürgerwindparks werden von lokalen Akteuren initiiert und umgesetzt. Landbesitzer, Anwohner und Kommunen können sich finanziell beteiligen und von den Erträgen profitieren. Diese Form der Beteiligung hat besonders in Schleswig-Holstein und Niedersachsen Tradition.

Rechtlicher Rahmen: Das Bürgerenergiegesetz

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2023 hat die Rahmenbedingungen für Bürgerenergieprojekte deutlich verbessert. Besonders wichtig sind folgende Regelungen:

  • Ausschreibungsfreiheit für Bürgerenergiegesellschaften bis 6 MW
  • Vereinfachte Teilnahme an Ausschreibungen für größere Projekte
  • Sonderregelungen für Kommunen bei der finanziellen Beteiligung
  • Steuererleichterungen für Einnahmen aus Bürgerenergieprojekten

Erfolgsgeschichten aus Deutschland

Deutschland ist weltweit führend bei Bürgerenergieprojekten. Hier einige bemerkenswerte Beispiele:

Bürgerwindpark Jühnde

Das Dorf Jühnde in Niedersachsen hat sich als erstes "Bioenergiedorf" Deutschlands einen Namen gemacht. Begonnen hat alles mit einer Biogasanlage und einem Nahwärmenetz, das die Dorfbewohner selbst betreiben. Inzwischen wurde das Konzept um einen Bürgerwindpark erweitert. Rund 75% der Haushalte sind an der Energiegenossenschaft beteiligt. Das Dorf produziert heute dreimal mehr Energie als es selbst verbraucht.

Energiegewinner eG, Köln

Die Kölner Energiegewinner eG hat sich auf Photovoltaik-Projekte in städtischen Gebieten spezialisiert. Die Genossenschaft pachtet Dachflächen von Schulen, Supermärkten und Unternehmen, errichtet dort Solaranlagen und verkauft den Strom. Mit über 1.500 Mitgliedern und mehr als 100 realisierten Projekten zählt sie zu den aktivsten Energiegenossenschaften in einer deutschen Großstadt.

Klimasparbrief der BürgerEnergie Berlin

Die BürgerEnergie Berlin sammelte über 13 Millionen Euro mit ihrem "Klimasparbrief", um das Berliner Stromnetz zu übernehmen. Obwohl der Versuch letztlich nicht erfolgreich war, zeigt es das enorme Potenzial für Bürgerbeteiligung auch bei großen Infrastrukturprojekten.

"Ohne Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger wird die Energiewende nicht gelingen. Sie sind nicht nur Verbraucher, sondern können und sollten auch Produzenten, Investoren und Gestalter des zukünftigen Energiesystems sein."

Dr. Julia Köhler, Vorständin des Bündnis Bürgerenergie e.V.

Die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile der Bürgerbeteiligung

Bürgerenergieprojekte bieten zahlreiche Vorteile gegenüber konventionellen Energieprojekten:

Lokale Wertschöpfung

Studien zeigen, dass durch Bürgerenergieprojekte bis zu achtmal mehr Wertschöpfung in der Region bleibt als bei Projekten externer Investoren. Dies umfasst nicht nur die direkten Erträge aus dem Energieverkauf, sondern auch Steuereinnahmen, Pachterlöse und Aufträge an lokale Handwerker und Dienstleister.

Eine Untersuchung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) ergab, dass ein 5-MW-Bürgerwindrad über seine Lebensdauer eine regionale Wertschöpfung von bis zu 3,5 Millionen Euro generieren kann.

Höhere Akzeptanz

Wenn Menschen finanziell von Energieprojekten profitieren und in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, steigt die Akzeptanz erheblich. Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zu Windparks um bis zu 30 Prozentpunkte höher ist, wenn eine Bürgerbeteiligung existiert.

Demokratisierung der Energieversorgung

Bürgerenergie bedeutet auch mehr Mitbestimmung und Unabhängigkeit von großen Energiekonzernen. Sie ermöglicht es Kommunen und Regionen, ihre Energieversorgung selbstbestimmt zu gestalten.

Bildung und Bewusstseinsschaffung

Durch die aktive Beteiligung an Energieprojekten setzen sich Bürgerinnen und Bürger intensiver mit Energiethemen auseinander. Dies führt oft zu einem bewussteren Umgang mit Energie im Alltag.

Bürgerbeteiligung international: Lehren aus den Nachbarländern

Auch in anderen europäischen Ländern gibt es interessante Modelle der Bürgerbeteiligung:

Dänemark: Pionier der Bürgerwindkraft

In Dänemark haben Bürgerenergieprojekte eine lange Tradition. Bereits in den 1980er Jahren wurde gesetzlich festgelegt, dass Anwohner Anteile an lokalen Windparks erwerben können. Heute sind rund 50% der dänischen Windkraftanlagen in Bürgerhand.

Niederlande: Postcoderoos-Regelung

Die niederländische "Postcoderoos"-Regelung ermöglicht es Bürgern, von Steuervergünstigungen zu profitieren, wenn sie sich an Energieprojekten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft beteiligen. Das Modell ist besonders für städtische Gebiete geeignet.

Schottland: Community Benefit Funds

In Schottland sind Projektentwickler verpflichtet, "Community Benefit Funds" einzurichten. Diese Fonds leiten einen Teil der Einnahmen aus Energieprojekten direkt an die lokale Gemeinschaft weiter, die damit soziale oder ökologische Projekte finanzieren kann.

Praktische Tipps: Wie kann ich mich beteiligen?

Für Bürgerinnen und Bürger, die sich an Energieprojekten beteiligen möchten, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Energiegenossenschaft beitreten: Der einfachste Weg ist der Beitritt zu einer lokalen Energiegenossenschaft. Eine Übersicht bietet die Website des Bündnis Bürgerenergie e.V.
  • Eigene Energieanlage installieren: Mit einer eigenen Photovoltaikanlage oder einem Balkonkraftwerk kann man im kleinen Maßstab Energieerzeuger werden.
  • Initiative gründen: Wer in seiner Region noch keine Bürgerenergieinitiative findet, kann selbst aktiv werden. Unterstützung bieten Dachverbände wie der Landesnetzwerk Bürgerenergiegenossenschaften.
  • Kommunales Engagement: Auch über lokalpolitisches Engagement kann man die Energiewende vor Ort vorantreiben, etwa indem man kommunale Klimaschutzkonzepte unterstützt.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Trotz der vielen Erfolgsgeschichten stehen Bürgerenergieprojekte vor einigen Herausforderungen:

Komplexe Regulierung

Die regulatorischen Anforderungen für Energieprojekte sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Für ehrenamtlich geführte Bürgerenergieinitiativen kann dies eine erhebliche Hürde darstellen. Lösungsansätze sind Kooperationen mit erfahrenen Partnern oder die Nutzung von spezialisierten Dienstleistern.

Finanzierung

Die Vorfinanzierung von Projektentwicklungskosten ist oft schwierig. Spezielle Förderprogramme wie der "Bürgerenergiefonds" des Umweltministeriums können hier Abhilfe schaffen.

Flächenverfügbarkeit

Besonders in dicht besiedelten Gebieten kann es schwierig sein, geeignete Flächen für Energieprojekte zu finden. Innovative Konzepte wie Agri-Photovoltaik oder die Mehrfachnutzung von Flächen können hier neue Möglichkeiten eröffnen.

Fazit: Bürgerbeteiligung als Schlüssel zum Erfolg der Energiewende

Bürgerenergieprojekte haben sich als wichtiger Treiber der deutschen Energiewende erwiesen. Sie verbinden wirtschaftliche Teilhabe mit klimapolitischem Engagement und stärken die lokale Gemeinschaft. Obwohl die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren teilweise schwieriger geworden sind, bieten die aktuellen EEG-Novellen neue Chancen für Bürgerenergieprojekte.

Die Beispiele aus Deutschland und seinen Nachbarländern zeigen: Eine erfolgreiche Energiewende braucht nicht nur technologische Innovationen und politischen Willen, sondern vor allem auch das aktive Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Nur wenn die Energiewende von der breiten Bevölkerung getragen wird, kann sie langfristig erfolgreich sein.